
Prof. Rainer Albertz sieht schwere Defizite in der theologischen Aufarbeitung des Bauernkrieges von 1525
Einen neuen Blick auf den Bauernkrieg von 1525 richtete der emeritierte Theologieprofessor Rainer Albertz vor rund 30 Theologinnen und Theologen in Ravensburg. In seinem Vortrag stellte Albertz den Aufstand der Bauern, der in Oberschwaben seinen Anfang nahm, theologische Erwägungen aus der alttestamentlichen Exodustradition voran und plädierte dafür, die traurige Geschichte, die auch ganz anders hätte verlaufen können, einmal „genauer offen und ehrlich aufzuarbeiten.“ Mit den „Zwölf Artikeln“ nahm der Bauernkrieg im März 1525 in Memmingen seinen Lauf und wurde ein paar Monate später durch eine fürstliche Übermacht brutal niedergeschlagen.
Der alttestamentliche Wissenschaftler stellte den Freiheitsbegriff ins Zentrum seiner Ausführungen und forderte einen „Rückbezug auf den Exodus“, auf die Herausführung aus Ägypten als Befreiung aus einer totalitären und menschenverachtenden Willkürherrschaft. Seinen Ausführungen zugrunde legte der Wissenschaftler seinen Kommentar zum Zweiten Buch Mose (Exodus), in dem die zentrale Befreiungserzählung Israels aufgezeichnet ist. Die konkrete Gestaltung der geschenkten Freiheit fand ihre Form und Ausgestaltung am Sinai, wo Mose die Zehn Gebote empfing. Auf diese Freiheitserfahrung beruft sich das Volk Israel im Laufe seiner Geschichte, bis auf den heutigen Tag im jüdischen Passahfest.
Dieses existenzielle Ereignis, beklagt Albertz, traf und trifft bis in die Gegenwart auf viel zu wenig Resonanz im christlichen Kontext. Das Thema Freiheit wurde in der Theologie sträflich vernachlässigt. Die Freiheit beschränkte sich mehr oder weniger auf die Innerlichkeit und weniger auf die konkrete Ausgestaltung und Formgebung im gesellschaftspolitischen Leben. Hinderlich bei der Ausgestaltung des Freiheitsbegriffs war das ausgeprägte Obrigkeitsdenken. Mit ihren Zwölf Artikeln haben die Memminger Bauern den reformatorischen Impuls aufgenommen und eine Freiheitsbewegung losgetreten, die kaum aufgeflammt, durch die Obrigkeit brutal niedergeschlagen wurde. Besonders tragisch: die Bauern griffen reformatorische Gedanken auf und wurden von der sich neu etablierenden evangelischen Kirche allein gelassen.
Herausgefordert durch die vom Evangelium begründeten politischen Forderungen der Bauern, zog sich Luther auf die Position zurück, „dass die christliche Freiheit keinerlei Auswirkungen auf die bessere Gestaltung der politischen Verhältnisse habe, nicht haben könne und auch nicht haben dürfe, weil sonst geistliches und weltliches Reich vermischt, die Herrschaft der Obrigkeit infrage gestellt und die Welt in Anarchie verfallen würde“, führte Albertz aus. Dem gegenüber stellt Albertz ein Freiheitskonzept vor, das eindeutig politisch konnotiert ist: „Die Exodustradition, die Vorstellung von der Befreiung Israels aus dem ägyptischen Sklavenhaus und Führung in die Freiheit des gelobten Landes. Seltsamerweise wird sie im heutigen Freiheitsdiskurs der protestantischen Theologie gar nicht oder nur passager einbezogen. Doch vielleicht könnte gerade diese biblische Tradition dabei helfen, das christlichen Freiheitskonzept vor zu starker Verinnerlichung zu schützen und ihr eine politische Dimension zu verleihen. Dass sie Bauern die Leibeigenschaft abgeschafft haben und für die freie Pfarrerwahl eintraten, dafür hat Albertz größtes Verständnis: Leibeigenschaft widerspricht dem Menschenrecht. Die bäuerliche Freiheitsbewegung im 16.Jahrhundert ist gescheitert. Mit fatalen Folgen, wie Albertz aufzeigt: In Süddeutschland ging die protestantische Landbevölkerung den sich bildenden Evangelischen Kirchen verloren. Enttäuscht von Luther und verfolgt von den Altgläubigen, wurden die oberschwäbischen Bauern fast alle wieder katholisch. Der Protestantismus in Deutschland verlor einen Großteil seiner Laienbewegung.
Aus der Reformation, die anfangs auch von begeisterten Gruppen von unten getragen worden war, wurde eine Reformation von oben, in der die Fürsten eine tragende Rolle spielten.
Besonders tragisch ist laut Albertz, dass die „protestantische Theologie, welche die erste Menschenrechtsbewegung in Europa mit initiiert hatte, besonders in Deutschland den Anschluss an die weitere Entwicklung der Menschenrechte in der Moderne“ verlor: „Während in den USA bei der Erklärung der Menschenrechte ein Bezug auf die biblische Tradition immer noch erkennbar war, sind doch auf der berühmten amerikanischen Freiheitsglocke Worte aus dem alttestamentlichen Jobeljahrgesetz: „Proclaim Liberty throughout all the land unto all the inhabitants thereof” (Verkünde im Lande die Freiheit für alle seine Bewohner; Lev 25,10) eingraviert, wurden die grundlegenden Freiheitsrechte seit der Französischen Revolution in Europa vorwiegend außerhalb Deutschlands, abseits der Kirchen und teilweise sogar gegen sie und ihre Theologie entwickelt und durchgekämpft. Erst seit 50 Jahren bemühen wir uns theologisch und kirchlich ernsthaft um eine Korrektur, ohne aber die Fehlentwicklungen und theologischen Irrtümer klar zu benennen.“
Folgende wörtliche Passage aus dem Manuskript von Prof. Albertz zeigt die Aktualität der alttestamentlichen Botschaft. Totalitärer Herrschaftsanspruch und menschenverachtende Zynismus ergänzen sich auf perfide Weise:
„Dass in Ex 1–14 der Vorgang einer politischen Befreiung geschildert wird, steht außer Frage.14 In den Kapiteln 1 und 5 des Exodusbuches wird auf drastische Weise die Unterdrückung einer fremdländischen Minorität geschildert: Der Pharao wird in Ex 1,9–10 als ein echter Demagoge vorgestellt, der absichtlich den Fremdenhass gegen die Israeliten in seinem Lande schürt, indem er behauptet, sie würden bald die Ägypter an Zahl überflügeln und im Krisenfall mit deren Feinden paktieren. Die staatliche Fronarbeit, die er verordnet, soll die hebräische Volksgruppe planvoll dezimieren: Eine Vernichtung durch Arbeit (V. 11–12), erschreckend ähnlich dem späteren Konzept der Nazis! Von dieser vernichtenden Ausbeutung sollen auch die Einheimischen profitieren (V. 13–14), welche die Israeliten auf ihren Ländereien einsetzen dürfen, so wie die Industriebetriebe in den KZ-Außenlagern. Als die Dezimierung durch Fronarbeit nicht recht funktioniert, beschließt der Pharao, alle männlichen hebräischen Babys umbringen zu lassen (V. 15–16.22). Das zielt auf die biologische Ausrottung, auf Genozid. Der menschenverachtende Zynismus und totalitäre Herrschaftsanspruch des Pharaos, unter dem die hebräischen Fronarbeiter zu leiden hatten, werden insbesondere in Ex 5 geschildert. Als Mose und Aaron um Urlaub für das Volk bitten, um einen Gottesdienst für JHWH in der nahen Wüste feiern zu können (Ex 5,3), nimmt der Pharao dies zum Anlass, auf schikanöse Weise den Arbeitssoll der Fronarbeiter zu erhöhen. Sie müssen sich bei der Lehmziegelherstellung künftig das Stroh selber von den Stoppeln der Äcker zusammensuchen, aber trotzdem denselben Tagessoll an Lehmziegeln abliefern wie zuvor (V. 6–10). Die Arbeitsunterbrechung für einen Gottesdienst ist für den Pharao nur ein Zeichen von Faulheit; der Gottesdienst bildet für ihn die gefährliche Gelegenheit, „nach Lügenworten Ausschau zu halten“ (V. 9). Die brutale Bestrafung der hebräischen Vorarbeiter wegen der Unterschreitung des Arbeitssolls soll die Solidarität unter den Fronarbeitern zerstören (V. 14–19). Die ununterbrochene Monotonie der Arbeit unter den Schlägen der Aufseher soll den Israeliten jeden Lebensmut rauben. Auch hier drängt sich der Vergleich zur Zwangsarbeit in den KZ’s und GULAG’s des 20. Jahrhunderts auf.“
Rainer Albertz, geb. 1943, Sohn des ehemaligen Berliner Regierenden Bürgermeisters Heinrich Albertz, lehrte bis zu seiner Emeritierung das Fach Altes Testament an der Evangelisch-Theologischen Fakultät Münster/Westfalen. Seit eineinhalb Jahren wohnt er mit seiner Frau in Weingarten.
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